Me llamo Calle
“Für eine Unbekannte”
Dieses Bild widme ich einer Frau, deren Namen ich nicht kenne. Einer Frau, über die ich mir kein Bild machen darf – und dennoch eines machen musste, um zu verstehen.
Wir begegneten ihr im Sommer auf einer Radtour in Italien. Sie ging stumm eine Straße entlang, neben ihr fuhr ein Mann im Auto und redete auf sie ein. Etwas stimmte nicht. Wir kehrten um, sprachen sie an – ohne gemeinsame Sprache. Der Mann fuhr davon. Sie schwieg. Wir gingen eine Weile hinter ihr her. Am Ende des Weges kehrte er zurück. Er berührte sie übergriffig. Wir stellten uns dazwischen. Sie reagierte nicht, stieg später aber in sein Auto.
Ihr Blick: direkt, entschlossen, hoffnungslos. Er verfolgt mich bis heute.
Ich versuchte, mit Hilfe von KI ein Porträt zu erschaffen. Doch keines der Bilder traf ihren Ausdruck. Was ich erzeugte, war gefärbt von eigenen Vorstellungen, Vermutungen, Klischees. In Wahrheit weiß ich nichts.
Ihr Porträt ist dennoch in diesem Werk enthalten – eingebettet in Schichten, zusammen mit Fragmenten aus Beware my love und einem Porträt von Nina Simone.
Sie bleibt eine Unbekannte. Und eine Begleiterin meiner Gedanken.
“Cyclistas Alé”
Die Dynamik eines Grouprides wird von vielen Faktoren beeinflusst. Ein Rennen hat einen völlig anderen Charakter als ein Empowerment Ride, bei dem es darum geht, gemeinsam zu starten und gemeinsam anzukommen. Beides hat seine Berechtigung – wichtig ist nur, dass im Team offen kommuniziert wird, worum es geht.
Dieses Bild entstand an einem Wochenende voller Kilometer und Höhenmeter, Brotstullen, guter Gespräche und kreativer Energie.
Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie gut Menschen einander tun können – und welche Kraft in einem gemeinsamen Sporterlebnis liegt, das auf Respekt und gegenseitigem Support basiert.
“Calle Geli”
Geli ist eine der ältesten Frauen im Dorf – und gleichzeitig auch eine der ersten in Punta Prieta. Ihre Eltern gehörten zu den Menschen, die diesen Ort einst besiedelten. Ich lernte sie 2024 kennen, als ich beobachtete, wie sie den Dorfplatz reinigte, und neugierig wurde auf jene, die Verantwortung für diesen Ort übernehmen.
Auf diesem Bild ist auch eine Photographie ihrer Mutter zu sehen – aufgenommen zu einer Zeit, als von einer asphaltierten Straße noch lange keine Rede war. Eine weitere Photographie zeigt ihre Tochter im hellen Kleid, spielend auf der noch immer unbefestigten Dorfstraße – eine Szene aus der dritten Generation.
Heute rolle ich auf Asphalt durch Punta Prieta. Geli und ihr Mann José empfangen uns mit großer Gastfreundschaft und erzählen von den Anfängen des Dorfes, von einem Leben voller Arbeit – und ebenso voller Tanz und Freude. Davon, wie sie mit der Band durch die Straßen zogen, das Leben feierten, aber auch davon, dass vieles schwieriger geworden ist.
Wir tauschen Musik und kulturelles Wissen aus, bei gutem Essen und warmem Miteinander.
Eine Straße, auf der dir Gastfreundschaft begegnet ist, bleibt – asphaltiert oder nicht – für immer ein besonderer Ort.
“Calle Dulce”
Jetzt mal ganz ehrlich – von Radreisender zu Radreisendem:
Was wäre das Radfahren ohne diesen einen Ort, an dem es ein kaltes Getränk gibt, einen richtig guten Kaffee – ja, Kaffee! – und vielleicht sogar eine kleine Süßigkeit oder etwas Herzhaftes? Es wäre nur halb so schön.
Wie wertvoll ist so eine Pause, wenn hinter dem Tresen ein freundlicher Mensch steht – obwohl wir alle wissen oder zumindest ahnen, wie anstrengend es ist, in einem kleinen Ort wie diesem Tag für Tag zu arbeiten, früh aufzustehen, alles vorzubereiten und Gäste willkommen zu heißen.
Die Frau auf diesem Bild nennt sich Dulce. Sie betreibt die einzige Bar in Punta Prieta. Hier seht ihr sie gerade dabei, Kartoffeln für die wohl beste Tortilla der Welt zu schneiden. Ein großes Stück Tortilla nach einer langen Tour, ein kaltes Getränk und ein Espresso – besser geht’s kaum.
Dulce erzählte mir, dass sie irgendwann ihren Bürojob gekündigt hat. Jetzt hat sie zwar viel Arbeit, aber sie ist glücklicher – nicht immer, aber oft. Ihr Traum: die Welt zu bereisen und zu fotografieren. Und auch wenn Dulce gerade noch nicht unterwegs ist – mit ihrer Absprache darf ich ihr Bild mitnehmen und mit der Welt teilen.
“Mascha”
Ebenso wie mich Nina Simones Stimme und Geist durch ihre Musik begleiten, sind auch Mascha Kalékos Worte treue Weggefährtinnen meiner Reisen und meines Lebens geworden. Was soll ich über eine Frau schreiben, die in der Poesie ihr Zuhause fand, weil man ihr kein anderes ließ? Eine Frau, deren Leben von einer so vielschichtigen Diaspora geprägt war, dass nur ihre Lyrik sie auszudrücken vermag.
Ihr Gesicht zu zeichnen war eine besondere Erfahrung. Über lange Zeit sah ich – außer dem Fischer und den Seglern – nichts anderes als ihr Gesicht und ihre Worte. Es waren kostbare, lehrreiche Stunden. Im Hintergrund dieses Bildes sind zwei Fotografien verarbeitet: eine Straße hinauf zum Teide und eine weitere, die eine Vulkanlandschaft mit Stufen zeigt. Die Schönheit der dunklen Vulkangebiete schien mir wie geschaffen für diese besondere Frau.
In einer Welt, die so oft von Angst getrieben wirkt – einer Angst, die sich auf vielfältige Weise negativ äußert (und ich meine damit nicht das Flüchten) – sind ihre Worte von unschätzbarem Wert. Und so wird, ganz gleich welche Straße ich noch bereise, ein Wort Maschas immer einen Platz in meinem Reisegepäck finden – und sei es unter der Sohle meines Schuhs.
Auf der schönen Küstenstraße in Richtung Punta Prieta leben viele Katzen. Um jede Kurve eine andere – oder gleich mehrere. Mit der Zeit weiß man, wo welche von ihnen zuhause ist. Viele jedoch haben kein Zuhause. Sie warten jeden Abend darauf, dass Marie mit ihrem kleinen weißen Auto vorbeikommt, die Stirnlampe aufgesetzt, ein warmes Herz und Futter im Gepäck.
Jeden Abend füttert Marie die Katzen an der Futterstation – und auch für die beiden Igel, die sich dort niedergelassen haben, ist sie da.
Katzen, ob Straßen- oder Hauskatzen, sind für mich besondere Begleiterinnen und Mutmacherinnen auf meinen Reisen. Umso dankbarer bin ich für all jene, die sich um diese Tiere kümmern und ihnen Liebe schenken.
Danke, Marie.
“Marie de los Gatos”
“beware my love”
In einer fremden Stadt, nach einem Tag voller Zweifel und Widerstand – wegen eines Jobs, den ich schon lange kündigen wollte, mich aber nicht traute loszulassen – begegnete ich Melanie Heim. Ihr Portrait hing im Flur eines Gästehauses. Ich war erschöpft, frustriert von einem Auftrag, der längst über seine Zeit hinaus war. Zurück in der Unterkunft stand ich lange vor ihrem Portrait:
eine Frau, gemalt – und doch lebendig.
Still aber deutlich schienen ihre Augen zu sagen:
„Sei klug. Pass auf dich auf. Lass dich nicht für dumm verkaufen.“
Die Besitzerin des Gästehauses erzählte mir später, dass sie das Bild auf einem Markt in Paris gekauft habe – auch sie hat sich oft gefragt, wer diese Frau ist und was ihre Geschichte sein könnte.
Ich fotografierte sie. Und dann nahm ich sie mit – nicht im Gepäck, sondern im Kopf, im Herzen, in meinem Skizzenbuch.
Auf meiner Radreise durch Italien malte ich sie neu – in Aquarell. Zuhause folgte eine Zeichnung in Pastell und Polychromfarben. Diese Arbeit ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.
Später verarbeitete ich ihr Portrait digital weiter, erschuf einen Eisenblaudruck und ließ sie in die Arbeit „An eine Unbekannte“ einfließen.
Das Original gehört mir nicht – doch Melanie Heim wurde Teil meiner künstlerischen Sprache. Ihr Gesicht wurde ein Symbol: für Intuition, für leise Stärke, für weibliche Klarheit.
Ein limitierter Druck dieser Arbeit wurde bei einer Charity-Auktion für 600 Euro versteigert. Seitdem gilt: Kein weiterer Druck dieses Werkes wird zu einem geringeren Preis verkauft.
Da ich mein Zuhause mit drei Straßenkatzen aus Spanien teile, fühle ich mich diesen Wesen besonders verbunden – und halte fast immer für einen kleinen Katzentalk an.
An dieser Stelle der Calle Toninas sitzen sie oft auf der Straße, warten auf den Abend
– und auf das weiße Auto von María, gefüllt mit Futter und Liebe.
“Calle de los Gatos”
“Mellow Roads”
So oft ich kann, nehme ich mein Fahrrad, steige in den Zug und fahre in die Berge. Sie lehren mich immer wieder, wie weich und zerbrechlich wir und alles, was unsere menschlichen Hände schaffen, sind. Manchmal stelle ich mir vor, wie die Berge die Menschen auslachen, weil wir uns für klüger, stärker und besser als andere Menschen halten. Die Berge machen einfach alle gleich weich und zerbrechlich. Was weich ist, darf sich nicht bekämpfen, sondern braucht sich gegenseitig, um bestehen zu können.
“Las Calles de las Tejedoras”
In die Naturschönheit, von der die Straßen umgeben sind, fließt eine alte Kultur – mit ihrer Ästhetik, ihrem Wissen und ihrer stillen Kraft. Ein Gomero erzählte uns, dass Europäer oft den Satz sagen: „Probiert doch mal Permakultur.“ Als hätten sie das Rad neu erfunden. „Nichts Neues hier,“ sagte er und lächelte.
Wenn Straßen uns durch die Geschichte einer Kultur führen, ist es manchmal an der Zeit, zu schweigen und einfach aufzunehmen. Es ist ein großes Geschenk, bereichert zurückzukehren.
In die Fotografie der Straße ließ ich weitere Bilder der alten Webekunst einfließen – der Artesanía del telar, auch Telar Canario genannt. In einem Restaurant im Nationalpark „Laguna Grande“ hingen zwei wundervoll gewebte, sehr alte Teppiche. In Wahrheit, so erklärte es mir der Besitzer, seien es Tragebücher. Gewebte Erinnerungen.
Das Muster zeigte eine Szene: Vögel, die sich um einen Baum versammeln – in Formen übersetzt, in Farben getragen. Ich malte es mit Aquarell nach und spürte eine tiefe Ruhe. Weit entfernt von Perfektion, und gerade deshalb voller Wärme.
“Der Fischer und die Segler”
Während der Sommermonate in Europa sind Mauersegler und Schwalben treue Begleiter meiner Radreisen. Wenn sie sich sammeln, um gemeinsam aufzubrechen und ihre lange Reise anzutreten, beginnt für mich jedes Jahr eine stille Wehmut.
Doch in diesem Jahr traf ich die Segler auch auf Teneriffa und La Gomera – in ihren letzten Tagen, bevor sie sich auf den Weg nach Europa machten. Das Geschrei der Mauersegler schenkt mir jedes Mal Frieden und Sehnsucht zugleich.
Als ich in Los Barrancos diese Fotografie aufnahm, war ich gerade von einer Radtour zurückgekehrt und saß auf dem Balkon meiner Unterkunft.
Entlang der Calle Tonina stehen die Fischer, still und ausdauernd, über viele Stunden hinweg. Eine leise Arbeit, die diese Straße schmückt – begleitet vom Ruf der Mauersegler.









“Las Calles de Masca”
Masca ist ein kleines Bergdorf im Teno-Gebirge auf Teneriffa, eingebettet in die steilen Hänge eines ehemaligen Vulkankraters. Die Straßen sind schmal und winden sich in engen Kurven durch die Landschaft – von Weitem kaum sichtbar, wären da nicht die „quita miedos“, die sogenannten „Angstwegmacher“. So nennt man hier die niedrigen Begrenzungssteine, die wie mit rötlich-oranger Erde getüncht scheinen.
Diese Strecke durch Masca entfaltet ihren Zauber besonders dann, wenn man sie mit dem Fahrrad erlebt. Wer hier nicht rückwärtsfahren kann, sollte besser umkehren. Wer sich jedoch auf das Miteinander, das Sprechen und Schweigen in Bewegung einlässt, wird nicht nur die Landschaft lieben, sondern auch das Dorf, das still und selbstverständlich in seiner Umgebung wohnt.
“Las Calles de La Gomera”
Mir wurde von vielen Seiten berichtet, dass La Gomera ein wundervoller Ort sei. Die Vorfreude war groß – und sie verwandelte sich in genau das besondere Erlebnis, das ich erhofft hatte. Ich hatte nur einen Tag Zeit, um die Insel mit dem Rad zu erkunden, doch dieser Tag hat sich tief eingeprägt.
Ich nahm meine Polaroid-Kamera mit auf die Tour, um diesen Moment auf eine Weise festzuhalten, die über das Digitale hinausgeht – unmittelbar, greifbar, vergänglich und doch bleibend.
Was die Straßen auf La Gomera so besonders macht?
Es ist das enge Zusammenleben des Asphalts mit den Bäumen um ihn herum, die so viel älter sind als die Straße und unendlich viele Geschichten flüstern.
“Pedalando sotto le ali”
(Tretend unter Flügeln)
Eisenblaudruck auf Hahnemühle Papier
17x24 cm im Objektrahmen 25x31 cm
Druck 05 /25 aus dem Jahr 2025
Die Inspiration für dieses Bild entstand während einer Radreise in Ponte di Legno, Italien. Das daraus entstandene Landschaftsaquarell ist mit dem Bild eines Schwans kombiniert, der auf meiner Lieblingsrunde hier in Magdeburg an der Umluft-Ehle über mich hinwegzog.
Es sind wunderbare Momente, wenn ich auf meinem Rad sitze und für einige Sekunden von einem Vogel begleitet werde, der ein kleines Stück mit mir gleitet, während ich unter ihm in die Pedale trete.