Von Angst zu Mut
“the unended”
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limited editition of seven
Dieses Bild entstand an einem Tag, an dem ich mich immer und immer wieder fragte, was Ralf
von dieser Ausstellung mit seinen nicht vollendeten Bildern halten würde. Ich fragte mich auch,
was er von digitalen Werken halten würde. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht.
Dass Menschen jedoch einen Fußabdruck im Leben anderer Menschen hinterlassen, dessen bin
ich mir sicher. Seine damalige Entscheidung, alle Werke an dem Ort zu lassen, an dem wir ge
meinsam gearbeitet hatten, war lange ein Fußabdruck, mit dem ich nicht wusste, was ich damit
anfangen sollte.
Doch ich dachte mir, wenn dieser Fußabdruck hinterlassen wurde, ist es nun meine Entscheidung
und meine Verantwortung, noch einmal einen Fuß hineinzustellen, darüber nachzudenken, was
er bewirkt hat, und anschließend wieder in die Bewegung zu kommen. So entschloss ich mich,
Ralf Kuhns unvollendetes „Kill your Darlings“ in meinen jetzigen Arbeitsprozess einzubauen.
Der Arbeitsprozess war sehr interessant für mich, denn die prüfenden Augen von „Uma“ fragten
mich immer wieder, ob dieses Bild wirklich gut genug ist und der ganzen Sache würdig. Wir führ-
ten über mehrere Tage eine stille Konversation, zwischen Zweifel und Entschlossenheit.
Als der Druck bei mir ankam, öffnete ich das Paket und war sehr unzufrieden. Ich legte es wieder
weg. Erst einige Tage später im Morgenlicht sah ich es mir wieder an und fand meinen Frieden.
Ist denn ein Druck nicht etwas Abgeschlossenes? Warum der Titel „unended“? Es geht um den
Einfluss, den Menschen in unserem Leben auf uns haben und der sich auch nach Jahren wieder
neu äußern und formen kann. Die gemeinsame Zeit der Malerei und der zwischenmenschlichen
Erfahrung wird unaufhörlich, wenn auch nicht immer präsent, ein Teil meines künstlerischen
Werdegangs sein.
Angst und Mut
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Sind Angst und Mut gleichzusetzen mit gut und schlecht? Nein. Um überlebensfähig zu sein benötigen wir beides. Die große Herausforderung scheint daher eher zu sein, diese
beiden Eigenschaften bewusst wahrzunehmen. Wenn ich weiß vor was mich meine Angst
schützen möchte, wird es mir leichtverfallen zu prüfen, ob diese wirklich angebracht ist.
Möglicherweise ist es eine Angst, die mich wirklich vor Schaden behüten will und daher
ein Geschenk meiner Intuition, um auf mich aufzupassen. Vielleicht ist es aber auch eine
Angst, die mich von jeder Art von Widerstand schützen möchte und mich immer dann von
meinem Weg abbringt, wenn es schwierig wird. Und hier kommt Mut zu ihrem Einsatz.
Weiterentwicklung bedeutet das Hinausbewegen aus der Komfortzone und das Aufbe-
gehren gegen Wiederstände. Das schöne an der Mut ist, dass wir sie trainieren können,
in kleinen Erprobungschritten eines Prozesses kann ich mich, auch wenn ich ängstlich
beginne zur Mut bewegen
Subtraktion
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Begegnungen formen uns und begleiten uns, manche mehr und manche weniger. Auch die Dinge, mit denen wir uns beschäftigen, den Beruf, den wir erlernen, und Fähigkeiten, in die wir viel Zeit investieren, werden zu einem Teil von uns. Im Laufe unseres Lebens kommen eine Ebene nach der anderen hinzu, die unser Gesamt- bild für uns selbst und für andere ergibt. Würde dieses Bild ins Wanken geraten, wenn eine prägnante Ebene abgezogen würde? Wenn ich morgen nicht mehr malen könnte und meine Person minus einer Fähigkeit rechnen würde, wäre mein Gesamtwert als Mensch dadurch veringer für mich oder für andere? Was bleibt von mir übrig, wenn ich gerngesehene Fähig-keiten abziehe? Was bin ich dann noch wert? Im besten Fall bin ich genauso wertvoll wie zuvor.
Embracing Failure
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In meinen Gedanken sehe ich immer noch die beiden Federn auf dem Kunstledereinband, die ich zusammenlegte und die sich ineinander fügten wie in einer innigen Umarmung. Ich hatte dabei niemals an eine romantische Form der Umarmung gedacht. Es war immer ein anderes Gefühl gewesen.
Als ich den Begriff embracing failure – Umarme das Scheitern – das erste Mal las, wusste ich diese Bedeutung steckte in meiner Interpretation jener Umarmung.
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Ursprungsphotographie
Im Nachhinein betrachtet scheint es mir logisch, dass das Motiv, welches zu Anfang der Reise steht, aus einem Kreislauf, der sich immerwährenden Veränderung entstammt. Was auch immer die Natur mir schenkt, seien es die glatten warmen Kastanien im Herbst, ein verlassenes Schneckenhaus, der Flügel eines Insekts oder die Feder eines Jungvogels, die er bei der Erneuerung seines Federkleides loslässt. Sie alle sind stille Zeugen eines stetigen unaufhaltsamen Wandels und scheinen so vollkommen, obwohl sie nicht auf Dauer bleiben können. Auch die beiden Federn, die ich bei einem Spaziergang in der Natur aufhob, trugen diese Tatsache bereits in sich. Ich war jedoch so besessen von ihrer Schönheit, dass es mir nicht möglich war, das anzuerkennen.
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Phase eins
Die erste zaghafte Farb- und Formgebung.
Die ersten Schritte auf einer neuen Leinwand besitzen einen Zauber.
Sie sind voller Zuversicht, das sich erdachte Ziel schon bald zu erreichen.
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Phase zwei
Mit feinen weißen und braunen Farbschichten tastete ich mich an mein Bild heran.
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Phase drei
Mit jeder weiteren Farblasur folgen Anpassungen in der Form und in der Art, wie die beiden Federn ineinander liegen.
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Phase vier
Blau schleicht sich ein. Ein Fehler?
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Phase fünf
Im unteren Teil des Bildes ist der Ausbruch aus der vorgegebenen Form zu beobachten. Die ersten intuitiven noch zaghaften Pinselstriche, denen ich erlaubte, sich auf der Leinwand zu zeigen. Wir schauten uns an, wie zwei Fremde mit dem komischen Gefühl der Vertrautheit.
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Phase sechs
Als ich diese Aufnahme machte, hatte ich das Bild bereits einige Male wieder schwarz übermalt. Mal war es die Form, mal die falsche Farbschattierung, die mir nicht passte und nicht meinem erstellten Bild von Perfektion entsprach.
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Phase sieben
Diese Photographie, wählte ich ebenfalls als ein für sich stehendes Kunstwerk, welches den Titel Wandel trägt. Als ich nach dem Malen die Leinwand betrachtete, spürte ich, dass diese Phase für mich einen Point of no Return darstellte. Ich mochte es sehr, aber traute mich nicht, das anzunehmen und übermalte es wieder.
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Phase acht
Während des Malens trauerte ich dem hinterher, was ich übermalt hatte. Ich vermisste das leuchtende Braun. Eine Gefühl der Orientierungslosigkeit auf einem neuen Weg überkam mich. Es gab zwar kein Zurück zur Ursprungsphotographie mehr, aber was war mein neuer Weg?
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Phase neun
Es braucht Zeit und kleine „Misserfolge“ sich mit einer mutigen Malweise anzufreunden. Aber hier gab es bereits etwas für mich so Schönes, das ich nicht mehr hergeben wollte. Ich schütze es, indem ich es abklebte und mich so gar nicht erst in die Versuchung bringen konnte, es wieder zu übermalen. Es war meine erste sichere Insel.
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Phase zehn
Wenn ich in mein Atelier kam, um weiterzumalen, war es, als wenn wir uns bereits aufeinander gefreut hätten und uns fragten: „Was würde heute passieren?“. Ich wusste, egal was heute auf der Leinwand geschehen würde, es würde mich einen Schritt weiterbringen. Ich hatte das Gefühl, immer an diesem Bild weitermalen zu können und Neues zu entdecken. So bekam es seinen Namen: the ever changing.
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Phase elf
Bis zur Ausstellung waren es nur noch zwei Wochen. Früher hätte hier die destruktive Perfektionistin die Oberhand gewonnen, Selbstsabotage betrieben und alles aus einer Impulshandlung heraus zerstört. Ja, kleine Impulse kamen immer wieder hoch, aber inzwischen war das Vertrauen auf den Prozess stärker, und ich machte einfach weiter.
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Phase zwölf
Der letzte Tag vor der Ausstellung. Ich dachte an Ralf Kuhn, der seine Bilder immer kurz vor der Vollendung zerstörte. Der Gedanke an diesen Zustand schmerzte. Aber dieses Bild war wie meine Vertraute. Ich würde es nicht zerstören, das wusste ich. Stattdessen würde ich seine Geschichte erzählen.
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the ever changing